· 

Farm-Rewilding: Knepp Estate


Zu Gast bei echten Rewilding-Pionieren! Charlie Burrell und Isabella Tree zeigen seit mehr als 25 Jahren auf 3.500 Acre (ca. 1.000 Hektar) im südenglischen Sussex, wie man Natur nicht nur schützt, sondern umfangreich zurückgewinnt und trotzdem auskömmlich Geld verdienen kann. Die beiden haben sich vom niederländischen Ökologen Frans Vera (geb. 1949) inspirieren lassen und im Sommer 2017 sogar eine Konferenz zur Frans Vera-These rund um das Thema Megaherbivoren auf ihrem Gelände abgehalten. Frans Vera ist vor allem für das Oostvaardersplassen-Projekt bei Amsterdam bekannt.  

Ähnlich wie das Bamff Estate (Schottland) steht auch das Knepp Estate beispielgebend für eine neue Art wirtschaftlicher Nutzung von Land. Das Knepp Estate ist doppelt so groß wie Bamff. Was auf dem Knepp Estate geleistet wird, hat uns absolut fasziniert. Die Art, wie Landwirtschaft betrieben wird, könnte ohne größere Probleme auch in Teilen Deutschlands umgesetzt werden. Gerade die großen Agrarbetriebe in Ostdeutschland hätten das Potential.   

Bei allem Staunen und fasziniert sein, dürfen wir nicht vergessen, dass sich Knepp Estate in einem experimentellen Stadium befindet. Deshalb wird viel Wert auf langjähriges Monitoring gelegt. In relativ kurzer Zeit haben sich im Knepp Land die intensiv bewirtschaften Ackerflächen in ein Mosaik verwandelt: ein Flickenteppich aus Grasland, Wasserland, Dornbuschland, Baumhainen sowie frei wachsende riesige Eichen. Nur an den Rändern der Parzellen kann man noch erkennen, wie die Ausmaße der Feldstrukturen mal gewesen sein müssen. Es werden Ansätze gefunden und erprobt, die die dringendsten Probleme unserer Zeit lösen könnten: Erhöhung der Artenanzahl in Flora und Fauna, Bodensanierung, Hochwasserschutz, Wasser- und Luftreinigung, bestäubende Insekten und Kohlenstoffbindung.

Longhorn-Rinder, Exmoor-Ponys, Biber, Damwild, Rotwild, Rehwild und Tamworth-Schweine haben alles gegeben, um eine neue (alte!) Form der Landschaft hervorzubringen. Die Tiere bewegen sich frei im Gelände. Inzwischen kommen nicht nur andere Farmer hierher, um zu schauen, wie die Knepp-Leute ihr Rewilding-Projekt aufziehen und Geld verdienen, sondern Naturschützer und Politiker aus der gesamten Welt. Und jede Menge Besucher wie du und ich.

Als wir dort Ende Juli 2024 vorbeischauten, waren Hunderte Menschen im Gelände und in den angrenzenden Serviceeinheiten unterwegs. Jeder wollte wissen, was hier anders als herkömmlich gemacht wird. In Knepp kann man problemlos ganze Tage verbringen – vorhanden sind ein großer Shop mit Buchladen, ein Restaurant, ein Farm-Garten, ein Innen- und Außen-Café sowie Safari- und Seminar-Angebote, die die kostenfreien Wanderrouten, die von jedermann und jederfrau abgewandert werden können, ergänzen. Letztgenannte sind umfassend ausgeschildert, so dass man sich auf dem riesigen Gelände nicht verlaufen kann. Angst vor den umherstreifenden Grasfressern braucht man nicht zu haben.

Unterwegs begegnet man eben genannten Knepp-Tieren, kann von Aussichtsplattformen ins Gelände schauen und kommt durch die umliegenden Dörfer mit ihren Kneipen. Im Knepp-Café und im Knepp-Restaurant wird viel Wert auf die Nutzung regionaler Produkte gelegt. Kein Wunder: Knepp hat große Teile der Wertschöpfungskette selbst in die Hand genommen und versorgt sich umfangreich mit Fleisch, Wurst und Gemüse vom eigenen Gelände. Wir schätzen, dass ca. 50 Angestellte dafür sorgen, dass der tägliche Ablauf in den Serviceeinheiten und im Gelände funktioniert. Urlauber können im Knepp Estate in diversen Ferienhäusern, Zelten, Yurten, einem Baumhaus und auf einem größeren Campingplatz direkt zwischen den Tieren übernachten. Das Gelände ist frei begehbar. Wer genaue Informationen haben möchte, kann verschiedene Gelände-Touren buchen. Ein Besuch lohnt im: Frühling, Sommer, Herbst und Winter!

Als deutscher Bürger ist man etwas erstaunt darüber, dass der Weißstorch und der Biber eine so große Aufmerksamkeit in Großbritannien erregen. In deutschen Landschaften sind diese Tiere fast schon normal. In Großbritannien sind sie, wie auch der Kranich, noch echte Raritäten auf deren Rückkehr man lange gewartet hat. Auf Knepp wurde der erste Weißstorch-Nachwuchs seit 600 Jahren in ganz Großbritannien zur Welt gebracht. Der Biber wurde 2022 in die Knepp-Landschaft entlassen und hat bereits für die nächste Generation seiner Art gesorgt – das erste Mal seit 400 Jahren in Sussex. In ein paar Jahren werden diese Tiere in UK ähnlich zahlreich zu finden sein wie bei uns. Das heißt nicht, dass in Deutschland mehr Rewilding zu finden ist. Eher das Gegenteil. Will sagen: Die Rückkehr von Kranichen, Störchen und Bibern allein sorgt nicht dafür, dass sich die Landschaft grundlegend verändert. Der Mensch muss aktiv werden und mehr „Wildheit“ zulassen. Landwirte könnten beispielgebend vorangehen und zeigen, dass sie tatsächlich den „wichtigsten Beruf“ der Welt haben – wie uns eine deutsche Marketingkampagne eines Bauernverbandes vor einigen Jahren soufflierte.

Knepp und Bamff, und viele weitere Farm-Rewilder in UK, haben einen „Landschaftsnutzungsumgang“ gefunden, der einen hoffnungsfroh in die Zukunft blicken lässt.

Mehr zum Knepp Estate
https://knepp.co.uk

Buchempfehlung
Isabella Tree „Wildes Land. Die Rückkehr der Natur auf unser Landgut“, 2022 (auf dem deutschen Buchmarkt seit Mitte 2024).

Filme zu Knepp Estate (Kneppflix)
https://www.youtube.com/@kneppflix2180